Übersicht über die steuerrechtlichen Entscheide des Schweizer Bundesgerichts, die in der Woche vom 16. - 22. August 2021 publiziert wurden.

  • Urteil vom 29. Juli 2021 (2C_80/2021), zur Publikation vorgesehen: Verrechnungssteuer, Rückerstattungsanspruch, Steuerumgehung; Die Beschwerdegegnerin (inländische AG) hatte die D. SA im Jahr 2005 von einem in Paraguay domizilierten Verkäufer erworben (siehe zum Hintergrund unseren ausführlichen Beitrag zum vorinstanzlichen Entscheid). Streitig war die Rückerstattungsberechtigung der Beschwerdegegnerin in Bezug auf die vorbestehenden (Alt-)Reserven. Zunächst kommentierte das Bundesgericht die von der ESTV publizierte Altreservenpraxis / Praxis zum Kauf eines vollen Portemonnaies (Praxis der Bundessteuern, Bsp. 18 zu Art. 21 Abs. 2 VStG), wonach bei einem Erwerb sämtlicher Aktien einer AG durch eine Schweizer Holdinggesellschaft von einem Ausländer zu einem über dem Nominalwert liegenden Preis bei Vorliegen massgebender Reserven / nicht betriebsnotwendiger Mittel, eine Steuerumgehung angenommen werde, wie folgt: Die Praxis müsse dahingehend verstanden werden, dass ein solcher Sachverhalt zwar ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer möglichen Steuerumgehung darstelle, dies aber in keinem Fall die vertiefte Einzelfallprüfung anhand der in der Rechtsprechung verankerten Steuerumgehungskriterien ersetze. Es handelt sich dabei also (entgegen der Vorinstanz) nicht um eine Verobjektivierung der Voraussetzungen einer Steuerumgehung. Die voranstehend beschriebenen Indizien lagen auch hier vor. Hinzu kam, wenn auch von untergeordneter Bedeutung, da nicht von einer Gestaltung zur Vermeidung der Verrechnungssteuer auf dem Liquidationserlös gesprochen werden könne, dass die D. SA bereits 2008 faktisch liquidiert worden war. Der Verkäufer sei sodann in einem Nicht-DBA-Staat ansässig gewesen und nichts habe die Beschwerdegegnerin daran gehindert, vom Verkäufer eine vorgängige Ausschüttung oder eine Kaufpreisreduktion in Bezug auf die mögliche Steuerlast zu verlangen. Der ESTV sei ein ausreichender Nachweis der Steuerumgehungsindizien gelungen, weshalb es an der Beschwerdegegnerin gewesen wäre, wirtschaftliche Motive für das gewählte Vorgehen nachzuweisen. Dies sei ihr vorliegend nicht gelungen. So verfange insbesondere das Argument nicht, die Beschwerdegegnerin habe beabsichtigt, die Barmittel der D. SA für weitere Akquisitionen zu verwenden: So habe sie sich nämlich einerseits im Erwerbsjahr zu einem den Altreservenbetrag übersteigenden Umfang verschuldet, in den Folgejahren aber weitere Akquisitionen getätigt, ohne die Barmittel der D. SA zu verwenden. Sodann zeige die faktische Liquidation der D. SA, dass sie von Anfang an nicht von wirtschaftlichem Interesse für die Beschwerdegegnerin gewesen sei. Entsprechend könne das gewählte Vorgehen nur mit der Absicht der Steuerersparnis erklärt werden. Abschliessend wies das Bundesgericht sodann darauf hin, dass - anders als von der Vorinstanz impliziert - der Zeitraum zwischen dem Erwerb der Aktien und der Dividendenausschüttung keine Rolle spiele. Gutheissung der Beschwerde der ESTV.
  • Urteil vom 28. Juli 2021 (2C_1021/2020): Mehrwertsteuer, Steuerperioden 2009-2013; Die Auslegung von Art. 112 Abs. 1 Satz 1 MWSTG ergibt eine ungleiche Behandlung alt- und neurechtlicher Steuerforderungen und führt vorliegend dazu, dass die streitbetroffene Steuerforderung aus dem Jahr 2009 - anders als jene aus dem Jahr 2010 - nicht verjährt ist. Umstritten war überdies die Höhe des empfangenen Entgelts für erbrachte Servicing-Leistungen, wobei die Feststellung der Vorinstanz, wonach der gesamte Rückbehalt im Umfang der Differenz zwischen den Kundenzinszahlungen und dem Transferpreis die Servicing-Leistungen entschädigen sollte, nicht offensichtlich unrichtig ist. Teilweise Gutheissung der Beschwerde der Steuerpflichtigen infolge Verjährung (Steuerperiode 2010). In Bezug auf die Steuerperioden 2009, 2011, 2012 und 2013 wird die Beschwerde der Steuerpflichtigen abgewiesen.
  • Urteil vom 5. August 2021 (2C_971/2020): Schenkungssteuer 2006 (Waadt); Dem verstorbenen Ehemann der Beschwerdeführerin wurden im Jahr 2006 nicht deklarierte Schenkungen von seiner Mutter zugeführt. Streitig ist, ob sich der Wohnsitz der Schenkerin 2006 in Waadt oder in Deutschland befand und ob somit überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Waadtländer Schenkungssteuer gegeben ist. Die Tatsache, dass die Deutsche Steuerbehörde einen Steuerbescheid für eine in der Schweiz steuerpflichtige Person erlässt, stellt für sich genommen ein Steuerdomizil in der Schweiz nicht in Frage. Im Übrigen hat die Schenkerin ihr Steuerdomizil in der Schweiz für 2006 nicht aufgrund ihrer deutschen Steuerbescheide für 2005 und 2006 angefochten. Die Feststellung, dass die Schenkerin 2006 im Kanton Waadt wohnhaft war, ist somit nicht willkürlich. Abweisung der Beschwerde der Steuerpflichtigen.
  • Urteil vom 5. August 2021 (2C_41/2021): Staats- und Gemeindesteuern 2015 (Aargau); Das beschwerdeführende Ehepaar besitzt eine Liegenschaft im Kanton AG, wo es zusammen mit seinen Töchtern während mehrerer Jahre wohnhaft und unbeschränkt steuerpflichtig war. Ende 2015 meldeten sich die Eheleute im Kanton AG ab und verlegten ihren Wohnsitz in den Kanton SZ, wo sie eine Einzimmerwohnung mieteten. Die Eheleute blieben im Kanton AG unbeschränkt steuerpflichtig, wogegen sie den Rechtsweg beschritten. Vor Bundesgericht rügten sie u.a. eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit. Nach Auffassung des Bundesgerichts kommt der Niederlassungsfreiheit im vorliegenden Fall neben einer möglichen Verletzung des harmonisierten kantonalen Steuerrechts (StHG 3 I und II sowie 4b) keine eigenständige Bedeutung zu. Neben allgemeinen Ausführungen zur Beweislastverteilung im Steuerrecht (insb. Normentheorie) setzt sich das Bundesgericht im vorliegenden Entscheid ausführlich mit dem steuerrechtlichen Wohnsitz auseinander und kommt wie die Vorinstanz zum Schluss, dass die Steuerpflichtigen in der betreffenden Steuerperiode im Kanton AG der unbeschränkten Steuerpflicht unterworfen waren. Abweisung der Beschwerde der Steuerpflichtigen.
  • Urteil vom 5. August 2021 (2F_7/2021): Revisionsgesuch gegen das BGer-Urteil 2F_17/2020 vom 29. Oktober 2020 (siehe unseren Beitrag vom 20. Dezember 2020); Abweisung des Gesuchs der Steuerpflichtigen, soweit darauf einzutreten ist.
  • Urteil vom 29. Juli 2021 (2C_758/2020): Staats- und Gemeindesteuern und direkte Bundessteuer 2015 (Schwyz); gewerbsmässiger Wertschriftenhandel; Vorliegend hat ein Bankangestellter privat mit Wertschriften (resp. insbesondere mit Derivaten mit starker Hebelwirkung) gehandelt mit den folgenden Ergebnissen: +7k (2012), -3k (2013), +15k (2014), -2.3 Mio. (2015), +11k (2016), -17k (2017). Für 2014 hatte der Steuerpflichtige erstmals Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit deklariert, welche von den Steuerbehörden nicht berücksichtigt wurde (Hobby). Streitig war nun die Verlustanrechnung in der Steuerperiode 2015, in welcher der Steuerpflichtige nach Aufhebung des Euromindestkurses keine Transaktionen mehr tätigte. Entgegen der Vorinstanz qualifiziert das Bundesgericht verschiedene Indizien anders, namentlich: Die Reduktion bei Häufigkeit & Volumen der Transaktionen können angesichts der Aufhebung des Euromindestkurses im besagten Jahr nicht mehr gleichermassen gewichtet werden; vielmehr sind hier auch die entsprechenden Gegebenheiten und Entwicklungen in den Vor- sowie ggf. in den Folgeperioden zu berücksichtigen, was sich aber nicht aus den Akten ergibt. Richtig erkannt hat die Vorinstanz, dass in Bezug auf die Kapitalumschlagsintensität (Transaktionsvolumen) bei gehebelten Produkten der Wert der underlying assets als Massstab nicht geeignet ist; allerdings lässt erläutert die Vorinstanz nicht nachvollziehbar, auf welche Grösse sie stattdessen abstellt. Auch dies ist daher weiter abzuklären, wobei insbesondere die "Grösse" des eingesetzten Hebels relevant sein dürfte. Zuletzt widerspricht das Bundesgericht der Vorsinstanz namentlich indem es den Einsatz der Fremdmittel ab 2014 sowie die Gewinnerzielungsabsicht bestätigt. Die Beschwerde des Steuerpflichtigen wird insoweit gutgeheissen, als dass die Veranlagung aufgehoben und zur Neubeurteilung an die Steuerbehörde zurückgewiesen wird.

Entscheide im Bereich der Amtshilfe / Nichteintreten:

Die Auflistung der Entscheide erfolgt chronologisch anhand des Publikationsdatums.