Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 1. Dezember 2020 (A-1795/2017): Rückerstattung der Verrechnungssteuer; Verneinung der Steuerumgehung bei einem Altreservenfall.

Die A. (CH) hat die im Treuhandbereich tätige B. (CH) 2005 für CHF 1.1 Mio. von D. erworben. D. war in einem Nicht-DBA-Staat ansässig. Per 31.12.2004 verfügte die B. über Gewinnreserven in Höhe von CHF 636'174, welchen u.a. CHF 759'414 liquide Mittel gegenüberstanden.

2010 schüttete die B. eine Dividende in Höhe von CHF 820'300 (Verrechnungssteuer: CHF 287’105) aus. Die ESTV verweigerte der A. eine Rückerstattung im Umfang von CHF 222'661, d.h. im Umfang der vorbestehenden Gewinnreserven (soweit ersichtlich nur von der A. explizit als "Altreserven" bezeichnet), da sie eine Steuerumgehung gem. Art. 21 Abs. 2 annahm.

Die ESTV stellte sich auf den Standpunkt, das gewählte Vorgehen sei absonderlich und dem verfolgten wirtschaftlichen Zweck (Erwerb von im Treuhandbereich tätigen Unternehmen) unangemessen gewesen. Dabei führte sie aus, dass der blosse Kauf einer Gesellschaft für sich alleine noch keine Steuerumgehung darstelle, wohl aber ein gewichtiges Indiz dafür sei.

Das Bundesverwaltungsgericht hiess die gegen die Verweigerung der Verrechnungssteuerrückerstattung gerichtete Beschwerde der A. vollumfänglich gut. Dies namentlich aus folgenden Erwägungen:

  • Die A. (sowie ihre damalige Muttergesellschaft) verfolgte über mehrere Jahre hinweg die Expansion im Treuhandbereich durch die Akquisition entsprechender aktiver Gesellschaften. Die erworbene B. wurde bis 2008 entsprechend weitergeführt und die Ausschüttung erfolgte erst Jahre nach dem Erwerb. A. hielt bereits vor dem Erwerb der B. drei Gesellschaften in diesem Bereich. 2008 und 2010 kamen weitere Beteiligungen hinzu. Zudem hatte sich die A. beim Erwerb der B. vertraglich zur Weiterführung von deren Geschäft bis Ende des Erwerbsjahres verpflichtet.
  • Der Kauf der in der Treuhandbranche aktiven B. lag im wirtschaftlichen Interesse der A. und deren Muttergesellschaft (Expansion). Insofern erscheint es nicht absonderlich, dass die Liquidität und Reserven von einem solchen zusätzlichen Interesse waren. Dass die A. und ihre Muttergesellschaft mit den Mitteln der B. weitere Investitionen beabsichtigt hatten, erscheint nicht der wirtschaftlichen Strategie unangemessen. Es ist zwar erstaunlich, dass danach länger keine Akquisitionen erfolgten. Dies lässt sich aber z.B. aus konjunkturellen Gründen erklären. In jedem Fall wird der Nutzen der Liquidität von der ESTV nicht grundsätzlich in Frage gestellt. So zeigt die ESTV nicht auf, dass die Nettodividende (nach Abzug der Verrechnungssteuer) sowie der die Altreserven übersteigende Teil der Dividende seither für die A. nicht nützlich gewesen wären.
  • Auch die Zeitspanne von über 5 Jahren zwischen Kauf und Ausschüttung bestärkt (nicht zuletzt auch im Lichte der direktsteuerlichen Regelung zur indirekten Teilliquidation) die Erwägung, dass die fraglichen Transaktionen keinen ungewöhnlichen Charakter aufwiesen.
  • Der Beteiligungskauf wurde zwar fremdfinanziert; die ESTV zeigt aber nicht auf, inwiefern die Finanzierung durch die B. erfolgt wäre oder eine sonstige absonderliche Finanzierung vorgelegen hätte.
  • In subjektiver Hinsicht machte die ESTV sodann geltend, der Wille des Verkäufers, die Ausschüttung einer final verrechnungssteuerbelasteten Dividende zu vermeiden, sei der einzige Grund für das gewählte Vorgehen gewesen. Mit dem Kauf habe die A. es dem Verkäufer ermöglicht, die latent verrechnungssteuerbelasteten Reserven über den Kaufpreis zu realisieren.
  • Damit wirft die ESTV der A. lediglich ein passives Verhalten vor. Ein eigenes fiskalisches Interesse hat die A. aber nicht, weshalb dies zur Begründung einer Steuerumgehung nicht ausreicht. Dies gilt auch wenn vertraglich vereinbart wurde, dass die steuerlichen Risiken dieses Vorgehens auf die A. übergehen sollten; denn es ist nicht erstellt, inwiefern ihr durch diese Risikoübernahme irgend ein wirtschaftlicher Vorteil entstanden sein soll.
  • Die gleichgeschalteten kommerziellen Interessen der A., ihrer Muttergesellschaft sowie der B. zum Verkaufszeitpunkt sowie die Weiterführung des Geschäfts der B. spricht sodann nicht für einen Kauf aus rein steuerlichen Gründen.


Hinweis der Autorin: Bei der Erwerberin handelte es sich um eine Inländerin. Soweit ersichtlich hat sich die Argumentation der ESTV materiell auf die Altreservenpraxis gestützt, nicht aber auf die Annahme einer internationalen Transponierung.