Übersicht über die steuerrechtlichen Entscheide des Schweizer Bundesgerichts, die in der Woche vom 23. - 29. August 2021 publiziert wurden.

  • Urteil vom 5. August 2021 (2C_390/2020): Staats- und Gemeindesteuern sowie direkte Bundessteuer 2010 (Thurgau); privilegierte Liquidationsbesteuerung bei Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit; Privatentnahme; vorliegend war strittig, ob das Ehepaar die Liquidation des Landwirtschaftsbetriebs 2011 mit der Privatentnahme von drei Grundstücken oder 2012 mit dem Verkauf dieser drei Grundstücke abgeschlossen hat. Entgegen der Vorinstanz führt das Bundesgericht aus, dass es bewusst keine zeitliche Mindesthaltedauer von Geschäftsvermögen oder Privatvermögen gebe; und auch eine "geringfügige selbständige Erwerbstätigkeit" der privilegierten Liquidationsbesteuerung nicht im Wege steht. Allerdings äussern sich die Steuerpflichtigen nur zur objektiven Willensäusserung; das subjektive Element der Willensbildung können sie nicht nachweisen, womit keine Privatentnahme stattfand. Folglich unterliegen nur die Gewinne aus 2011 und 2012 der privilegierten Liquidationsbesteuerung; die Kapitalgewinne aus 2010 unterliegen der ordentlichen Einkommensbesteuerung. Abweisung der Beschwerde der Steuerpflichtigen.
  • Urteil vom 28. Juli 2021 (2C_23/2020; 2C_101/2020): Direkte Bundessteuer und Staats- und Gemeindesteuern 2010 (Solothurn); Nachsteuerverfahren; Übertragung von Patenten; Streitig ist, ob die Vorinstanz die Nachsteuerverfügungen zu Recht aufgehoben hat. Auszugehen ist von der Feststellung, dass die hier interessierenden Patente im April 2009 von der C. GmbH auf den Steuerpflichtigen übertragen wurden. Unbestritten ist auch, dass der Steuerpflichtige die Patente am 30. Juni 2010 an die B. AG weiterveräusserte. Der erste Realisationstatbestand ist somit die unterpreislich erfolgte Übertragung der Patente im April 2009 von der C. GmbH auf den Steuerpflichtigen. Das Steueramt nahm 2010 einen zweiten Realisationstatbestand an, nämlich eine verdeckte Kapitaleinlage an die B. AG. Von entscheidender Bedeutung ist vorliegend, ob der Steuerpflichtige im Jahr 2009 die Patente ins Geschäftsvermögen überführt hat, was eine selbständige Erwerbstätigkeit voraussetzt. Der Frage, ob mit der Übertragung der Patente vom Steuerpflichtigen auf die B. AG im Juni 2010 eine steuerbare Privatentnahme stattgefunden habe, ging die Vorinstanz nur summarisch nach. Soweit sich die Vorinstanz überhaupt mit der Frage des Vorliegens einer selbständigen Erwerbstätigkeit auseinandergesetzt hatte, kann ihr nicht gefolgt werden. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern aus dem Fehlen einer selbständigen Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen vor der Gründung der C. GmbH geschlossen werden könnte, dass der Steuerpflichtige auch später keine selbständige Erwerbstätigkeit entfaltet hat. Der Steuerpflichtige hat nur unzureichend zwischen den beiden Vermögenssphären unterschieden. Starkes Gewicht muss aber dem Umstand beigemessen werden, dass die streitbetroffenen Patente zwischen April 2009 und Juni 2010 dem Steuerpflichtigen persönlich gehörten. Die Annahme der Vorinstanz, dass für das Steuerjahr 2010 keine Nachsteuern erhoben werden könnten, weil kein Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit vorliege, erweist sich aufgrund des gegenwärtigen Aktenstands jedenfalls als unvollständig und deshalb bundesrechtswidrig. Gutheissung der Beschwerde des kantonalen Steueramtes und Rückweisung zur Ergänzung an die Vorinstanz.
  • Urteil vom 05. August 2021 (2C_514/2021; 2C_516/2021): Direkte Bundessteuer und Staats- und Gemeindesteuern 2016 und 2017 (Appenzell Ausserrhoden); Die steuerpflichtige A. AG ist der Auffassung, dass die auf pflichtgemässem Ermessen beruhenden Veranlagungsverfügungen nichtig seien. Sie beanstandete, dass der Kanton SG als Liegenschaftskanton zugunsten des Kantons AR keinen Gewinn ausgeschieden habe. Bei der direkten Bundessteuer stellt sich die Frage der interkantonalen Steuerausscheidung gar nicht, da gemäss Art. 105 Abs. 3 DBG die kantonalen Behörden die direkten Bundessteuern von juristischen Personen veranlagen, die am Ende der Steuerperiode oder der Steuerpflicht ihren Sitz oder den Ort der tatsächlichen Verwaltung im Kanton haben. Bei den Staats- und Gemeindesteuern erweist es sich anders. Hier ist der Kanton SG zur Erhebung der anteiligen Gewinn- und Kapitalsteuern befugt. Nur weil der Kanton SG von einem geringeren Gesamtgewinn und Gesamtkapital ausgeht, als der Kanton AR, kann nicht auf Nichtigkeit geschlossen werden. Die Steuerpflichtige hätte Einsprache erheben können, was sie jedoch nicht getan hat. Stattdessen entschied er sich, dem Kanton AR ein Revisionsgesuch einzureichen. Die angebliche Doppelbesteuerung ist also Folge von prozessualen Versäumnissen der Steuerpflichtigen. Abweisung der Beschwerde der Steuerpflichtigen.

Nachtrag eines Entscheids der Vorwoche (Link wieder erreichbar):

  • Urteil vom 28. Juli 2021 (2C_401/2020): Staats- und Gemeindesteuern 2015, Doppelbesteuerung (St. Gallen) Der beschwerdeführende steuerpflichtige Verein hat Kapital- und Betriebsliegenschaften in diversen Kantonen. Streitig war die Kapitalausscheidung (mit Fokus Kapitalanlageliegenschaften). Bei der Beschwerde wegen Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots ist nicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige den Beschwerdeweg schon in einem Kanton beschreitet, dessen Ausscheidungsmethode er für unzutreffend hält. Vielmehr genügt es, wenn sich der Steuerpflichtige erst gegen die letzte Veranlagung wehrt, welche die Doppelbesteuerung aktuell werden lässt, selbst wenn der Steuerpflichtige mit der Methode des letztveranlagenden Kantons an sich einverstanden wäre. Die Kapitalbesteuerung eines Vereins richtet sich nach den Grundsätzen über die Vermögensbesteuerung. Für die quotale Schuldenverlegung müssen die massgeblichen Aktiven - insbesondere die Liegenschaften - von den beteiligten Kantonen nach einheitlichen Regeln bewertet werden (mittels Repartitionsfaktor). Unzulässig ist hingegen grundsätzlich, neben den Schulden auch das Bruttovermögen unbesehen nach Repartitionsquoten zu verlegen, da sonst Kantone mit (zu) tiefen amtlichen Verkehrswerten in einem ungerechtfertigten Mass an der Besteuerung von realistischer bewerteten Liegenschaften in anderen Kantonen partizipieren würden. In Bezug auf den Kanton BL wird sodann darauf hingewiesen, dass zweifelhaft ist, ob die dortige Verkehrsbewertungspraxis noch im Rahmen des kantonalen Gestaltungsspielraums bewegt. Entsteht aufgrund der tiefen Bewertung nach der Schuldenverlegung gemäss Repartitionswerten ein Schuldenüberschuss in BL, so kann von den anderen Kantonen nicht dessen Übernahme verlangt werden. Gutheissung der Beschwerde des Steuerpflichtigen insofern, als dass sämtliche Kantone neu zu veranlagen haben. Hinweis: Das Urteil enthält noch weitere lesenswerte Ausführungen und obiter dicta zur interkantonalen Steuerausscheidung und möglichen künftigen Änderungen der Rechtsprechung.

Entscheide im Bereich der Amtshilfe / Nichteintreten:

Die Auflistung der Entscheide erfolgt chronologisch anhand des Publikationsdatums.