Übersicht über die steuerrechtlichen Entscheide des Schweizer Bundesgerichts, die in der Woche vom 30. November 2020 - 6. Dezember 2020 publiziert wurden.

  • Urteil vom 16. November 2020 (2C_703/2019): Amtshilfe DBA (CH-IN). Mit Gesuch vom 22. Juni 2016 übermittelte die indische Steuerverwaltung der ESTV vier Amtshilfegesuche, da mehrere nicht deklarierte Bankkonten vermutet wurden, darunter auch eines in der Schweiz bei der Bank X. Die indische Behörde wollte Angaben zu allen Konten im Zeitraum vom 01. April 1999 bis zum 31. März 2016. Streitig ist, ob die Vorinstanz zu Recht entschieden hat, dass in Bezug auf Informationen, die sich auf den Zeitraum vom 01. April 2015 bis 31. März 2016 beziehen, keine Amtshilfe gewährt werden darf. Das Subsidiaritätsprinzip wird nicht eingehalten, wenn ein Amtshilfeersuchen vor Ablauf der Frist für die Einreichung der Steuererklärung für diesen Zeitraum gestellt wurde. Die Frage der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ist eng mit dem Vertrauensprinzip verbunden. Dieses verhindert aber nicht, dass die ESTV den ersuchenden Staat um Aufklärung ersuchen darf, wenn die Schweiz ernsthafte Zweifel an der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips hat. Die Frist für die Steuerdeklaration in Indien war für diesen Zeitraum noch nicht abgelaufen. Die ESTV hatte somit die Pflicht, die ersuchende Behörde um Aufklärung zu bitten, was nicht geschehen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat zu Recht die Informationen für den betreffenden Zeitraum gestrichen. Abweisung der Beschwerde der ESTV.
  • Urteil vom 18. Mai 2020 (2C_1028/2019): Direkte Bundessteuer und Staats- und Gemeindesteuern 2015 (Luzern); Gewinnaufrechnung in Folge unterpreislicher Leistungen an den Anteilsinhaber einer AG; Bei der Veräusserung einer profitablen Arztpraxis durch den Alleinaktionär und Mitarbeiter (Arzt) folgt der originäre Goodwill (z.B. Patientenstamm) normalerweise dem veräusserten Unternehmen und ist nicht dem veräussernden Arzt zuzurechnen - auch wenn es sich um einen sog. personenbezogenen Goodwill handelt; Wenn der Arzt den Patientenstamm in eine andere Gesellschaft einbringt, für die er neu tätig wird, ohne die veräusserte AG für die Aufgabe des Patientenstammes entsprechend zu entschädigen, wird eine verdeckte Gewinnausschüttung (mittels Entnahme des Goodwills) an den verkaufenden Alleinaktionär aufgerechnet; Zudem hat der Arzt die ihm obliegende Treuepflicht als Verwaltungsrat gegenüber der verkauften AG verletzt, indem er ihr ihre gesamte wirtschaftliche Grundlage entzog; Abweisung der Beschwerde der steuerpflichtigen AG.
  • Urteil vom 7. August 2020 (2C_299/2019): Direkte Bundessteuer und Staats- und Gemeindesteuern 2007-2012 (Wallis): Gewerbsmässiger Liegenschaftenhandel; Die Brüder X haben mittels Erbvorbezug eine unüberbaute Parzelle erworben. Während des Baus wurden drei Wohnungen veräussert, zwei Wohnungen bewohnen sie selbst und vier Wohnungen wurden vermietet. Die Steuerbehörden qualifizierten den Verkauf und die Vermietung als Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit und erhoben die Grundstückgewinnsteuer aufgrund Überführung vom Privat- ins Geschäftsvermögen. Aufgrund der langfristigen Planung und der Fremdfinanzierung erweist sich die Beschwerde des Steuerpflichtigen hinsichtlich des Verkaufes als unbegründet. Betreffend Vermietung wird der Entscheid zur ergänzenden Sachverhaltsfeststellung zurückgewiesen.
  • Urteil vom 10. November 2020 (2C_847/2020): Direkte Bundessteuer und Staats- und Gemeindesteuern 2017 (Zürich); Fristwiederherstellung bei Ermessensveranlagungen; Der zeitnahe Nachweise einer unverschuldeten Verhinderung der Einhaltung der Frist (mittels Arztzeugnis) konnte nicht erbracht werden; Abweisung der Beschwerde des Steuerpflichtigen.
  • Urteil vom 10. November 2020 (2C_877/2020): Staats- und Gemeindesteuern 2014 - 2018 (Graubünden); Quellensteuer und Steuerbusse; unentgeltliche Prozessführung und Fristwiederherstellung: Die Gesellschaft hatte während zehn halbjährlichen Abrechnungsperioden keine Quellensteuerabrechnungen eingereicht und wurde gebüsst; Die juristische Person konnte nicht nachweisen, dass das einziges Aktivum im Streit liegt und auch der/die wirtschaftliche(n) Berechtigte(n) mittellos sind; Die Beschwerde der Steuerpflichtigen wird abgewiesen.
  • Urteil vom 4. November 2020 (2C_523/2020): Staats- und Gemeindesteuern und direkte Bundessteuer 2005-2008 (Graubünden); der Steuerpflichtige vermag nicht nachzuweisen, dass die von der Steuerbehörde trotz als Faustpfand hinterlegten Aktien getroffene Sicherstellungsverfügung aufgrund Wegzugs ins Ausland verfassungsrechtlich unhaltbar wäre; Abweisung der Beschwerde des Steuerpflichtigen.
  • Urteil vom 09. November 2020 (2C_547/2020): Amtshilfe DBA (CH-RU). Die russische Steuerverwaltung hatte von der ESTV verschiedene Informationen zur russischen Gesellschaft B. in Zusammenhang mit Lizenzzahlungen auf ein Konto der A. verlangt. Streitig ist, ob die Angaben zu F. und G. für die Besteuerung der B. voraussichtlich erheblich sind. F. ist in der Anschriften-Adresse der Kontoauszüge der interessierenden Bankbeziehung der A. aufgeführt und G. ist Zeichnungsberechtigter der fraglichen Kontoverbindung. Es besteht somit eine vernünftige Möglichkeit, dass diese Informationen voraussichtlich erheblich sind. Eine Schwärzung des Namens von F. und G. fällt ausser Betracht. Weiter stellt sich die Frage, ob F. und G. von der ESTV über das Amtshilfeverfahren informiert werden müssen. Weil Drittpersonen durch das (personelle) Spezialitätsprinzip geschützt sind, führt allein der Umstand, dass sie in den zur Übermittlung vorgesehenen Unterlagen erwähnt sind, nicht zu ihrer offensichtlichen Beschwerdeberechtigung und somit auch zu keiner Benachrichtigungspflicht seitens der ESTV. Die ESTV hat jedoch die russischen Behörden auf das Spezialitätsprinzip aufmerksam zu machen. Gutheissung der Beschwerde der ESTV.
  • Urteil vom 10. November 2020 (2C_410/2020): Kausalabgaben (Spitalgebühr); Zu klären war, ob Streitigkeiten im Zusammenhang mit einer Spitalgebühr in den Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1 EMRK fallen; Gemäss massgebendem kantonalem Recht handelt es sich vorliegend um eine Kausalabgabe in der Form einer Benutzungsgebühr; Die Unvorhersehbarkeit der Forderungshöhe steht der Qualifikation als Benutzungsgebühr nicht entgegen; Das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Forderung (Benutzungsgebühr) schliesst die Eröffnung des Anwendungsbereichs von Art. 6 Ziff. 1 EMRK noch nicht aus; Abgaberechtliche Verpflichtungen sind – vorbehältlich des abgaberechtlichen Strafrechts – grundsätzlich vom Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK ausgenommen; Davon betroffen sind primär abgaberechtliche Verpflichtungen im steuerrechtlichen Sinne; Die vorliegende öffentlich-rechtliche Forderung ist mit einer zivilrechtlichen Forderung für die Behandlung in einem privatrechtlich organisierten Spital vergleichbar, es liegt daher eine zivilrechtliche Verpflichtung i.S.v. Art. 6 Ziff. 1 EMRK vor; Der Abgabepflichtige hat einen Anspruch auf eine öffentliche und mündliche Verhandlung; Gutheissung der Beschwerde des Abgabepflichtigen.

Nichteintretensentscheide:

Die Auflistung der Entscheide erfolgt chronologisch anhand des Publikationsdatums.